Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die „hessenschau“ hat im Januar gefragt: „Ist die Kultur für die neue Landesregierung ein Restposten?“ Die Antwort kann man nach einem halben Jahr geben. Sie lautet: Ja, leider. Leider zeigen Sie mit Ihrer Rede erneut, dass Sie die Sorgen und Nöte der Hochschulen nicht gehört haben. Obwohl die Überschrift Ihrer Regierungserklärung viel verspricht, enthält sie außer warmer Worte nichts für Kunst und Kultur in Hessen. Das reiht sich ein in einen uninspirierten Koalitionsvertrag und eine 100-Tage-Bilanz des Kunst- und Kulturministeriums, in der Kunst und Kultur nicht einmal auftauchten.
Herr Minister, Sie haben in Interviews mehrfach gesagt, Ihr Schwerpunkt sei die Kultur im ländlichen Raum. Was sind Ihre Initiativen der vergangenen sechs Monate hierzu? Die Förderung von Kultur im ländlichen Raum ist in der Tat ein wichtiges Thema. Damit alle Menschen an Kultur teilhaben können, muss sie niedrigschwellig überall und ohne lange Wege erreichbar sein. Der Masterplan Kultur umfasst deshalb vier Handlungsfelder für den ländlichen Raum sowie neun kurzfristige Aspekte. Doch nichts davon ist von Ihnen bisher angegangen worden. Beim Lesen des Koalitionsvertrags hat mich der Eindruck beschlichen, dass die Vertragspartner den Masterplan gar nicht gelesen haben; denn Sie beschreiben ihn als „professionelle Bestandsaufnahme“, was ihm nicht einmal ansatzweise gerecht wird. Es ist ein Plan für die Zukunft der Kultur in Hessen Deshalb lassen Sie mich ein paar konkrete Maßnahmen für den ländlichen Raum benennen, quasi als Ideen: Weiten Sie die erfolgreichen „LandKulturPerlen“ zur Förderung von Kulturprojekten und zur Verbesserung der Vernetzung von Kulturakteurinnen und -akteuren im ländlichen Raum weiter aus. Stellen Sie mit den Kommunen gemeinsam ein Konzept für niedrigschwellige und konsumfreie „Dritte Orte“, wie Bibliotheken, auf, und fördern Sie diese. Richten Sie mit den Kommunen und anderen Partnern eine Leerstandsbörse für Räumlichkeiten zur künstlerischen Nutzung ein. Stärken Sie die Gastspielförderung im ländlichen Raum. All das wären Themen und Maßnahmen, die ich heute in Ihrer Regierungserklärung zu hören erwartet hätte.
Sie haben nicht nur nicht geliefert, sondern auf die Frage: „Warum nicht?“ – die Presse hat Sie das ja auch schon gefragt – behaupten Sie, die letzte Landesregierung habe für die Kultur im ländlichen Raum nichts getan. Ich kann Ihnen sagen: Die Kultur im ländlichen Raum war bei der CDU und bei uns oft ein Thema, und wir haben geliefert. Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Ausweitung der „LandKulturPerlen“ mit zwei neuen Regionalbüros und zusätzlichen Regionalmanagerinnen und -managern, Schaffung des Hessischen Atelierprogramms, das Kreative in den ländlichen Räumen bei der Finanzierung ihrer Arbeitsorte unterstützt, und Schaffung eines Wanderkinoprogramms. Für uns hatten und haben kulturelle Angebote für alle Hessinnen und Hessen Priorität; denn die Förderung der Kultur ist ein Staatsziel, das in der Hessischen Verfassung steht. Sie haben ein zweites Feld genannt, das Ihnen wichtig ist: die Musikschulen. Schauen wir uns auch das einmal genauer an. In einem Interview mit der „hessenschau“ haben Sie gesagt, dass das Land seit Jahren die Musikschulförderung zurückgefahren habe und Sie da jetzt mal herangehen müssten. – Das ist falsch. Herr Schmitz hat es Ihnen eben vorgerechnet. Die Landesmittel für die Musikschulen sind in der letzten Legislaturperiode von 1,8 Millionen Euro auf 4,4 Millionen Euro angehoben worden – ein Teil davon übrigens im aktuellen Doppelhaushalt aufgrund eines über fraktionellen Antrags, gemeinsam mit der SPD. Dafür ist Ihr Staatssekretär mein Zeuge. Deshalb hat mich die Missgunst in Ihrem Interview etwas ratlos zurückgelassen. Ich kann sie nur als Zeichen von Uninformiertheit zur Kenntnis nehmen.
Noch ratloser aber lässt mich zurück, dass diese überfraktionelle Initiative, mit den Kommunen die Musikschulförderung auf inhaltlich und finanziell neue Beine zu stellen, keine Erwähnung im Koalitionsvertrag findet und auch keine Initiativen erkennbar sind, das anzugehen. Wir sind gespannt auf den nächsten Haushalt, ob Sie die vereinbarten finanziellen Steigerungen einhalten oder nicht. Sie sehen, ich muss auf Presseinterviews ausweichen, weil Ihre heutige Rede, sagen wir mal, kulturell mau war. Sie haben keine konkreten Maßnahmen genannt, auf die man sich beziehen kann und an denen man Sie messen kann. Ich hatte ja die Befürchtung, Sie sagen zu den Themen Kunst und Kultur gar nichts mehr. Aber immerhin haben Sie etwas zur documenta 16 gesagt. Ohne Frage sind die Neuaufstellung und Ausrichtung der kommenden Ausgabe der documenta wichtig. Die umfassenden Strukturreformen, die größtenteils noch vor Ihrer Amtszeit angestoßen wurden, sind der richtige Weg, um die documenta weiter hin erfolgreich zu machen. Sie sind aber nicht nur documenta-Minister, sondern Sie sind für die Kunst und Kultur in ganz Hessen zuständig.
Über Monate haben Kulturschaffende aus Hessen am Masterplan gearbeitet, viele im Ehrenamt, engagiert und kontrovers. Der Masterplan ist kein Wünsch-dir-was-für-dich selbst geworden, sondern die Kulturschaffenden haben sich darauf eingelassen, das ganze Bild zu sehen. Mir geht es ausdrücklich nicht darum, welche Ministerin oder welcher Minister im Vorwort zu Wort kommt, sondern darum, dass es eine Arbeit der Kulturschaffenden aus Hessen ist, die wirklich entscheidende Weichenstellungen für die Kultur in Hessen anspricht. Herr Gremmels, ich glaube, Sie haben Ihren Job falsch verstanden. In einem Interview mit SAT.1 haben Sie gesagt – ich zitiere –: „Kunst und Kultur, ins Theater zu gehen, zu Konzerten zu gehen, sind jetzt Teil meines Jobs, und ich lerne viel über Musik, über Kunst und Kultur.“ Das ist schön, Herr Gremmels, aber Ihr Job ist nicht, ins Theater zu gehen, sondern sich dafür einzusetzen, dass nicht nur Sie ins Theater gehen können, sondern auch Kin der und Jugendliche aus benachteiligten Familien. Es lassen sich viele schöne Worte für die Kultur finden. Wir brauchen sie für unser Zusammenleben, wir brauchen sie für die Entwicklung des Einzelnen. Die Freiheit der Kultur ist ein essenzieller Bestandteil unserer Demokratie. Ihre Förderung ist in Hessen ein Verfassungsauftrag. Die Betonung liegt hier auf „Auftrag“. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist dünn, was die Förderung von Kunst und Kultur angeht, und auch heute haben Sie die Chance verpasst, zu sagen, was Sie für die Kultur in Hessen tun wollen. Wir werden diese Landesregierung deshalb nicht nur an ihrem Koalitionsvertrag, sondern auch an der Umsetzung des Masterplans Kultur messen; denn wegen ihrer Bedeutung für die Menschen in Hessen und für unsere Demokratie hat es die Kultur verdient, mehr als ein Restposten zu sein.
Immerhin wurde bei der Kultur im Nachtragshaushaltsentwurf nicht gekürzt. Sie ahnen es: Das bringt mich zu den Hochschulen. Der Rolle der Hochschulen und der Wissenschaft für die Demokratie kann man sich von verschiedenen Seiten nähern. Man kann darüber sprechen, welche Rolle die Hochschulen historisch als Orte des Austauschs und des Protestes für die Entwicklung unserer Demokratie gespielt haben und noch heute spielen. Oder man spricht über das Grundgesetz als eine der ältesten liberalen Verfassungen, die die Freiheit der Wissenschaft zusätzlich zur Meinungsfreiheit verankert hat. Man kann sich auch anschauen, wie wichtig die Fakten und das Wissen, das unsere Hochschulen generieren, für den demokratischen Diskurs in unserem Land sind. Die Pandemie wird hier gerne als Beispiel angeführt. Ich möchte heute aber einen anderen Blick auf die Verbindung von Bildung und Demokratie werfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der christlich-sozialen Union, insbesondere für die verbliebenen Abgeordneten der CDU –, Ludwig Erhard hat es in seinem Aufstiegsversprechen so formuliert – Zitat –: „Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, ich will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin.“ Der zweite Teil ist so wichtig wie der erste, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Es ist die Aufgabe von Demokratie, einen Rahmen für die freie Entfaltung des Einzelnen zu schaffen, und wir wissen: Demokratie stabilisiert sich durch Wohlstand, für den Bildung und Wissen zentral sind. Folglich ist der Zugang zu Bildung ein zentraler Teil dieses Aufstiegsversprechens. Für die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel war Bildung so zentral, dass sie das Aufstiegsversprechen weiterführte und sagte – ich zitiere –: „Wohlstand für alle heißt heute und morgen: Bildung für alle.“
Damit unsere Hochschulen Teil dieses Aufstiegsversprechens für alle sein können, braucht es mehr als Gebäude. Lassen Sie mich von Ludwig Erhard konkret zur Frankfurt University of Applied Sciences – ich nenne sie als Beispiel – kommen. Aus dem Profilbudget des Hochschulpaktes hat die Frankfurt UAS unter anderem die School of Personal Development and Education, kurz: ScoPE, geschaffen. Sie macht Angebote zur Stärkung der Persönlichkeit und des gesellschaftlichen Engagements für Studierende und Lehrende aller Fachbereiche. Sie hat sich für diesen Weg entschieden, weil sie eine sehr vielfältige Studierendenschaft hat, viele Studierende aus Arbeiterfamilien oder mit einer familiären Migrationsgeschichte. ScoPE ermöglicht es ihnen allen, über das Fachliche hinaus für sich persönlich die Werkzeuge zu entwickeln, mit denen sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können, mit denen sie im Leben erfolgreich sein können, um die Kräfte, die in ihnen liegen, vielleicht erst dadurch zu entdecken. Die Hochschulen bieten ihnen dafür den richtigen Rahmen und versetzen sie dazu in die Lage. Das ist ein Beispiel von vielen. Doch es sind genau diese Programme und Projekte, die jetzt vom Sparkurs der Landesregierung bei der Bildung bedroht sind; denn das sind die Projekte, die als Erste dran glauben müssen. Sie haben den Hochschulen eine Finanzierungslücke von über 100 Millionen Euro für die zweite Jahreshälfte 2024 und für die Folgejahre beschert. Wenn Sie die Hochschulen damit alleine lassen, dann sind über 1.500 Stellen bedroht. Dazu von Ihnen heute aber kein Wort.
Eine Regierungserklärung und kein Wort zu den drängendsten Problemen der Hochschulen – das muss man sich erst einmal leisten können. Anders als im Plenum waren Sie, Herr Minister Gremmels, im Ausschuss durch unseren Dringlichen Berichtsantrag am 25. April ja gezwungen, etwas zu sagen. Ich zitiere aus dem öffentlichen Teil der Sitzung aus der Antwort der Landesregierung: „Dabei werden wir auch darüber sprechen, wie die bis 2025 beabsichtigten Ziele für Forschung und Lehre angesichts der krisenbedingten finanziellen Herausforderungen zu erreichen sind und ob gegebenenfalls Umplanungen in den Hochschulen erforderlich werden.“ Sie nennen es „Umplanungen“ – die Hochschulen nennen es massiven Stellenabbau, Abbau von Wissenschaftsdisziplinen und Schließung von Studiengängen. Die Ziele des Hochschulpaktes sind aber kein Sahnehäubchen; man kann sie nicht „umplanen“, ohne großen Schaden anzurichten. Denn die Ziele des Paktes sind eben jene, die ich am Bei spiel der Frankfurt University of Applied Sciences eben beschrieben habe. Sie sind essenziell für die Bildung junger Menschen. Sie bilden den Rahmen für das Versprechen ihres individuellen Aufstiegs durch Bildung. Das trifft übrigens auch auf die Studierendenwerke zu. Über die wurde noch zu wenig gesprochen. Auch für sie hatten Sie heute nur warme Worte übrig. Wie ihre Zukunft aussieht, darüber werden sie heute im Ungewissen gelassen. Auch sie treffen nämlich die Tarifsteigerungen hart, und auch ihr Budget wird seitens des Landes nicht erhöht. Sie müssen jetzt also die gestiegenen Lohnkosten an die Studierenden weitergeben. Die ersten Studierendenwerke haben bereits ihre Beiträge erhöht. In Darmstadt plakatiert der RCDS, der Studierendenverband der CDU – ich zitiere –: „Keine weiteren Preiserhöhungen in der Mensa! Garantie der Preise für mindestens zwölf Monate“. Man könnte jetzt sagen, hier wird sozialistische Planwirtschaft gefordert. Ich würde aber sagen, dem RCDS geht es hier um die Einhaltung des erhardschen Aufstiegsversprechens. Erfüllen können die Studierendenwerke diesen frommen Wunsch des RCDS aber nur, wenn das Land ihnen dabei hilft. Auch die Studierendenwerke brauchen Unterstützung. Das würde sich lohnen: Die hessischen Hochschulen sowie ihre Forschenden und Studierenden generieren regionale Wertschöpfung. Mit ihren Absolventinnen und Absolventen machen sie die Region attraktiv für Unternehmen. Forschung und Innovation tragen darüber hinaus dazu bei, unser aller Wohlstand zu sichern. Kultur und Wissenschaft, beide machen unsere Gesellschaft reich, materiell und immateriell. Sie sind das Fundament für Wohlstand und Zusammenhalt und das Fundament unserer Demokratie.
Doch für diese Landesregierung ist die Kultur nur ein Restposten, und die Wissenschaft ist das Sparschwein, das zugunsten dieser aufgeblähten Landesregierung ausgenommen wird. Darüber kann auch diese Regierungserklärung nicht hin wegtäuschen, im Gegenteil. Sie beschreiben die historische Herausforderung, unsere Demokratie zu verteidigen, und Ihre Antwort sind 2 Millionen Euro in zwölf verschiedenen Förderlinien für die Vernetzung von Demokratieforscherinnen und Demokratieforschern sowie für eine Professur. Herr Minister, die Problemanalyse und die Antwort passen da überhaupt nicht zusammen. Die Ideen des „11+1 für Hessen“-Programms zur Demokratieforschung sind an sich nicht falsch. Man kann aber an der einen oder anderen Stelle die Frage stellen, ob sie wirklich notwendig sind: Gibt es wirklich eine Leerstelle bei den Fachtagungen in diesem Bereich? Gibt es nicht genug Professuren in Deutschland, die sich mit den unterschiedlichen Disziplinen, mit der Geschichte der Demokratie und mit ihrem heutigen Zustand befassen? Eine Professur mehr schadet vielleicht nicht, aber bei der Schaffung von Stiftungsprofessuren vertrete ich immer die Haltung: Eine solche politische Setzung muss man sich immer sehr gut überlegen; denn es ist die originäre Aufgabe der Wissenschaft, ihr Forschungsprofil festzulegen. Unterm Strich wirkt das für mich wie ein sehr kleinteiliger Aktionismus, statt das anzugehen, was die Hochschulen wirklich brauchen. Ich jedenfalls habe noch nicht gehört, dass das das Programm ist, auf das jetzt alle gewartet haben.
Deshalb fordere ich die Landesregierung auf: Sparen Sie nicht an der Bildung, nehmen Sie die Kürzungen bei den Hochschulen zurück, und schaffen Sie einen verlässlichen Hochschulpakt für die Zukunft. Nehmen Sie die hessischen Kulturschaffenden ernst, setzen Sie den Masterplan Kultur um, und stärken Sie die Kultur in Hessen. Daran werden wir Sie messen. –
Vielen Dank.